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Story Publication logo July 24, 2024

Innocent Brazilians In Prison Because of Social Media Photos (German)

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People walk down the street. Digital squares are placed over the face of each person, presumably to identify individual facial features.
English

An increasing number of policymakers are turning to artificial intelligence to fight and prevent...

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innocent Brazilians
Danilo Félix with his girlfriend, Bia, and his son in Rio de Janeiro. Image by Sarah Pabst. Brazil.

An English summary of this report is below. The original report, published in German in Der Spiegel, follows.


Danilo Félix, a wrongfully accused man, spent 55 days in prison. The reason: a photo he had uploaded to social media. The police had saved the picture and included it among photos of suspects presented to a robbery victim for identification. The officers had no doubts when the victim pointed to the picture of Félix, a young Black man from a favela. They arrested the new father, who works nights as a caregiver in a homeless shelter, without further investigation.

"I missed my son's first steps," Félix says sadly. "I was accused of three robberies at once. But I couldn't have been at the scene of the crime at the time stated." He has his girlfriend, Bia, to thank for the fact that he is now free. She contacted a lawyer and the local media to bring attention to the case. But no sooner had Félix been acquitted of the first charges than he was arrested again. The police had mixed his photo in with suspects' pictures.

The identification of suspects with the help of photos, often used as the only evidence, is a controversial practice frequently used in Brazil.

A janitor from Rio was charged 62 times. He was identified as an alleged criminal in a photo. In a database, the janitor's photo was repeatedly mixed in with suspects' photos. It was only after three years in prison that the mistake was discovered. The supreme court ruled on the case, and the man was released.

The ombudsman's office in Rio de Janeiro found that such errors are not an isolated cases. Between 2012 and 2020, there were at least 73 innocent people who were identified on the basis of a photo and ended up behind bars. The study also showed that more than 80 percent of those arrested on the basis of photos are Black men.


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For every innocent person who is in prison, there is a perpetrator who is at large.

It is well known that eyewitnesses can make mistakes. According to the Innocence Project, a nonprofit legal group that investigates miscarriages of justice, more than 60 percent of those wrongfully convicted in the U.S. had previously been incorrectly identified as perpetrators by witnesses. In Brazil, this problem is compounded when a court accepts photo identification as the only evidence. In one example from northern Brazil, police mixed a photo of Black American actor Michael B. Jordan with suspects' photos. Witnesses identified him as the perpetrator in the shooting of several people.

Criticism of the photo identification practice is coming from the ranks of security forces, who cite a lack of resources for police investigations. Public spaces are massively monitored with cameras that can use artificial intelligence to recognize individuals — even in crowds.

In the state of Rio de Janeiro, a parliamentary commission looked into the issue of identification based on photos from social media. The commission was unable to agree on a common proposal, including a plan for compensation payments for those wrongfully arrested.

“The issue is now on the agenda. And we will work to find solutions,” said commission chairwoman Renata Souza, from the left-wing Socialism and Liberty Party.


Brasilianische Polizei in der Kritik: Unschuldig im Knast wegen irgendwelcher Fotos auf Social Media

In Brasilien mischt die Polizei zufällig ausgewählte Fotos aus den sozialen Medien unter Bilder von Verdächtigen, die Opfern zur Identifizierung gezeigt werden. Viele Unschuldige landen so im Gefängnis. Nun regt sich Widerstand.


55 Tage saß Danilo Félix im Gefängnis. Der Grund: Ein Foto, das er auf Facebook hochgeladen hatte. Die Polizei hatte das Bild abgespeichert und es unter die Fotos von Verdächtigen gemischt, die dem Opfer eines Überfalls zur Identifizierung vorgelegt wurden: Es zeigte einen jungen schwarzen Mann aus der Favela. Als das Opfer auf dieses Bild zeigte, zweifelten die Beamten nicht. Sie verhafteten den frisch gebackenen Vater, der ehrenamtlich in einem Obdachlosenheim aushilft ohne weitere Nachforschungen.

»Ich habe die ersten Schritte meines Sohnes verpasst«, sagt Danilo, 28, traurig. »Mir wurden gleich drei Überfälle zur Last gelegt. Dabei konnte ich zur angegebenen Zeit gar nicht am Tatort gewesen sein.« Dass er heute frei ist, hat er seiner Freundin Bia zu verdanken. Sie kontaktierte einen Anwalt und die lokalen Medien, sodass der Fall schnell bekannt wurde. Doch kaum war Danilo von den ersten Anschuldigungen freigesprochen, wurde er erneut verhaftet. Wieder hatte die Polizei sein Foto unter die Verdächtigenbilder gemischt.

Die Gesichtserkennung mithilfe von Fotos als einziger Beweis für ein Verbrechen: eine umstrittene Praxis, in Brasilien dennoch häufig angewendet. Ein Hausmeister aus Rio wurde sogar 62-mal angeklagt. Immer wieder wurde er von Zeugen und Opfern verschiedener Verbrechen auf einem Foto als vermeintlicher Straftäter erkannt. Einmal in der Datenbank, wurde das Foto des Hausmeisters immer wieder unter die Fotos von Verdächtigen gemischt. Erst nach drei Jahren im Gefängnis flog der Irrtum auf. Das Oberste Gericht beschäftigte sich mit dem Fall; der Mann wurde freigelassen.


Die Stadt Rio de Janeiro in Brasilien: Ein Hausmeister wurde 62-mal fälschlicherweise angeklagt. Bild von Sarah Pabst. Brasilien.

Solche Irrtümer sind kein Einzelfall, fand die zuständige Ombudsstelle in Rio de Janeiro heraus: Allein zwischen 2012 und 2020 gab es dort mindestens 73 Unschuldige, die anhand eines Fotos vermeintlich identifiziert wurden – und im Gefängnis landeten. Die Studie zeigte auch, dass mehr als 80 Prozent der anhand von Fotos unschuldig Verhafteten schwarze Männer sind.

So wie Claudio Rodrigues Junior, 28Er saß zwei Jahre und vier Monate unschuldig im Knast. Auch in seinem Fall hatte die Polizei ein Foto unter die Bilder von möglichen Straftätern gemischt. »Ich schaute vom Balkon und sah vier Polizeiautos. Mir war klar: Sie suchen hier im Viertel nach einem Verbrecher. Doch dann zielten sie mit den Waffen auf mich. Ich sagte ihnen, es sei eine Verwechslung. Aber sie sagten: Nein, wir suchen dich!« Sein Traum, Anwalt zu werden, ist damit geplatzt, die Zukunft verbaut. »Ich darf als Vorbestrafter nicht mal Ubertaxi fahren«, sagt der schmale Mann, der nun Pizza ausliefert. Seine Frau, eine Medizinstudentin, erinnert sich: »Es war eine schreckliche Zeit. Und ich habe bis heute Angst, dass Claudio wieder verhaftet werden könnte.«


Claudio Rodrigues Junior: Er wollte Anwalt werden, jetzt liefert er Pizza aus. Bild von Sarah Pabst. Brasilien.

Essensausgabe der NGO Rio de Paz in der Favela Jacarezinho: Die von der Stadtregierung installierten Sicherheitskameras wurden abgebaut. Bild von Sarah Pabst. Brasilien.

Wenn Zeugen eines Verbrechens auf Fotos eine Person als Täter identifizieren, stehen dessen Chancen vor Gericht schlecht. Und das, obwohl bekannt ist, dass Augenzeugen sich täuschen können – das menschliche Gedächtnis ist nicht perfekt. Die Non-Profit-Organisation Innocence Project, die sich um die Aufklärung von Justizirrtümern bemüht, gibt an: Mehr als 60 Prozent der unschuldig Verurteilten in den USA waren zuvor von Zeuginnen und Zeugen fälschlicherweise als Täter identifiziert worden.

In Brasilien wird dieses Problem nochmals verstärkt, wenn ein Gericht die Erkennung anhand eines Fotos als einzigen Beweis akzeptiert. Wie absurd das Vorgehen der Polizei ist, führt auch ein Beispiel aus Nordbrasilien vor Augen: Dort mischte die Polizei ein Foto von Schauspieler Michael B. Jordan unter die Verdächtigenbilder. Zeugen erkannten in ihm den Täter eines Massakers, bei dem mehrere Menschen erschossen wurden.


Kameras, die Gesichter erkennen können, im Stadtzentrum von Salvador de Bahia: Was nützt die Technologie, wenn kein Geld für Ermittlungen da ist? Bild von Sarah Pabst. Brasilien.

Kritik kommt nun sogar aus den Reihen der Sicherheitskräfte. Der Polizist Kleber Rosa aus Salvador de Bahia wagt es, sie auszusprechen. Er sagt: »Es gibt zu wenig Geld für polizeiliche Ermittlungen, um eine Zeugenaussage zu ergänzen.«


Polizist Kleber Rosa: »Wer schwarz ist, so wie ich, wird schneller verdächtigt«. Bild von Sarah Pabst. Brasilien.

Stattdessen werde massiv in Sicherheitskameras investiert, die mithilfe von künstlicher Intelligenz einzelne Gesichter erkennen können – auch in Menschenmengen. »Aber wen sollen die Kameras suchen, wenn zuvor keine Polizeirecherche stattfindet? Wenn eine Erkennung durch Opfer anhand von qualitativ schlechten Fotos ausreicht und gar nicht mehr hinterfragt wird, ob der vermeintliche Täter überhaupt am Tatort gewesen sein kann?« Der Polizist beobachtet zudem rassistische Vorurteile: »Wer schwarz ist, so wie ich, wird schneller verdächtigt.« Statistiken zu fälschlichen Verhaftungen traut er nicht: »Manchmal wird jemand nach zwei, drei Tagen freigelassen: Los, du kannst gehen! Und das wird dann vielleicht gar nicht erfasst.«

Claudio Rodrigues Junior, der junge Mann, der zwei Jahre unschuldig im Gefängnis saß, versucht derzeit herauszufinden, ob sein Foto noch immer in der Datenbank der Polizei gespeichert ist. Anders gesagt: Er will wissen, ob sein Bild erneut Zeugen von Verbrechen vorgelegt werden könnte und er somit Gefahr läuft, jederzeit wieder verhaftet zu werden: »Solange ich nicht weiß, ob mein Bild noch im System ist, lasse ich das Handy-GPS ständig aktiviert, und ich speichere das Bewegungsprofil – um immer ein Alibi parat zu haben.«

Im Staat Rio de Janeiro hat sich vor Kurzem eine Parlamentskommission mit dem Thema der Identifizierung anhand von Fotos aus sozialen Medien beschäftigt. Zwar konnte sich die Kommission auf keinen gemeinsamen Vorschlag einigen, etwa was Entschädigungszahlungen für unschuldig Verhaftete angeht. Dennoch ist die Vorsitzende der Kommission, Renata Souza von der linken Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL), zufrieden: »Das Thema steht nun auf der Agenda. Und wir werden daran arbeiten, Lösungen zu finden.«

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