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Story Publication logo October 19, 2022

Where Salaries Are Renegotiated Twice a Year (German)

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A dog walker walks 20 dogs at once. The wall behind her is painted with dollar signs.
English

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Inflation!

For an argentine, 8-9% inflation is not a big deal. Our latest estimates suggest this year’s will be...

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The following is an English summary of this story, "Zweimal im Jahr muss das Gehalt neu verhandelt werden." After the summary is the full story, written in German for Der Spiegel.


Peso bills as a cheap wallpaper substitute, empty restaurants, and the usual everyday family life sinks into chaos. Argentinian photographer Irina Werning shows the absurd consequences of inflation in her home country.

The horror that is currently afflicting other countries—Irina Werning has known it since her childhood days. Few countries in South America have experienced inflation as frequently as Argentina in recent decades. Economic crises, you could almost say, are as much a part of everyday life here as the four seasons. "Just as the British talk about the weather, we talk about rising prices," the photographer reports.

People are currently beginning to understand what ever-increasing prices mean in their personal everyday lives and for social cohesion, even in the rich center of Europe. Annual inflation in the euro zone was estimated at 9.1 percent in August, a record. In September, it was 10 percent—the next record. In regions like the Baltics, it has long been double that, and even with that, it's still far from what Argentines know, Werning said. "I'm 46 years old, and I've experienced double-digit inflation for 36 years of my life; on average, it was 80 percent a year."



Wenn die Pesos nur noch vage die Blöße bedecken: Die 29-jährige Make-up-Verkäuferin Lara aus Argentinien posiert für Irina Werning mit ihrem Monatsgehalt. Foto von Irina Werning

Pesoscheine als billiger Tapetenersatz, leere Restaurants und der gewohnte Familienalltag versinkt im Chaos. Die argentinische Fotografin Irina Werning zeigt die absurden Folgen der Inflation in ihrer Heimat.


Der Schrecken, der andere Länder gerade heimsucht – Irina Werning kennt ihn seit ihren Kindheitstagen. Nur wenige Länder Südamerikas erlebten in den vergangenen Jahrzehnten so häufig Inflation wie Argentinien. Ökonomische Krisen, könnte man fast sagen, gehören hier zum Alltag wie die vier Jahreszeiten. »So wie die Briten übers Wetter reden, spricht man bei uns über den Preisanstieg«, berichtet die Fotografin.

Was immer weiter steigende Preise im persönlichen Alltag und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeuten, beginnen die Menschen derzeit auch im reichen Zentrum Europas langsam zu verstehen. Die jährliche Inflation im Euroraum wurde im August auf 9,1 Prozent geschätzt, Rekord. Im September waren es dann 10 Prozent – nächster Rekord. In Regionen wie dem Baltikum liegt sie längst doppelt so hoch, und selbst damit immer noch weit von dem entfernt, was Argentinierinnen und Argentinier kennen, so Werning. »Ich bin 46 Jahre alt und habe 36 Jahre meines Lebens eine zweistellige Inflation erlebt; im Durchschnitt waren es 80 Prozent pro Jahr.«


Lücke in einem argentinischen Supermarktregal: Nur wer weiß, dass es einmal anders war, kann etwas vermissen. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Eine Zeit lang schien es, als könne die Fotografin das Trauma ihres Landes hinter sich lassen. An der Universität in Buenos Aires studierte sie Wirtschaftswissenschaften, danach ging sie nach London und fand schließlich ihren heutigen Beruf. Mit dem Projekt »Back to the future« erlebte sie ihren Durchbruch. Die Bilder zeigen Menschen, die alte Schnappschüsse Jahrzehnte später originalgetreu noch einmal nachstellen. Die Motive wurden weltweit gezeigt, kopiert und schließlich sogar von der Deutschen Bahn für eine Werbekampagne aufgegriffen.

»Je schutzloser man ist, desto schlimmer trifft es einen.«

Irina Werning

Wernings Bildsprache feiert den Eigensinn, ihre Motive sind bunt und verspielt, dem ersten Anschein nach losgelöst von tagesaktuellen Krisen und Eilmeldungen. Tatsächlich aber, sagt die Fotografin heute, habe sie schon immer Bruchlinien gesucht, Irritationen im Alltäglichen. Vor wenigen Wochen wurde Irina Werning für ihre Arbeit beim »World Press Photo Award« ausgezeichnet.

Inzwischen zurück in Argentinien ist die Inflation längst wieder omnipräsent. Ihren Abschluss als Ökonomin nutze sie jetzt auch beim Einkaufen, sagt Werning, wobei es Menschen mit noch weniger Geld deutlich schlimmer treffe.

Für ihr jüngstes Projekt bat die Fotografin nun ihr eigenes Umfeld, die alltäglichen Folgen der Inflation sichtbar zu machen. Ihre Bilder zeigen hundertfach ausgewechselte Preisschilder neben Familienvätern ohne Auto und panischen Frauen im Supermarkt. Ihren eigenen Mann zeigt Werning oben ohne beim Tapezieren mit Pesos, eine enge Freundin beim Horten von Shampoo.

»So geht es uns mit der Inflation, wir sind verletzlich«, sagt die Fotografin. »Und je schutzloser man ist, desto schlimmer trifft es einen.«

Sehen Sie hier, wie Irina Werning das Leben mit der Inflation in Argentinien darstellt*:


Zwei Freundinnen der Fotografin Irina Werning mit einem Einkaufszettel – was auf den ersten Blick wie eine südamerikanische Telenovela wirkt, entpuppt sich auf den zweiten als bunt ausgeleuchtete Gesellschaftskritik. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

»Wer reich ist, kann sein Vermögen ins Ausland verschieben, in Gold oder Kryptowährungen anlegen. Wer Immobilien besitzt, kann die Mieten erhöhen«, sagt Werning. »Wer aber nichts hat, wird von der Inflation aufgefressen. In Argentinien habe ich gesehen, wie die Inflation im Laufe der Jahre zu mehr Armut geführt hat, und das bricht einem das Herz.« Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Nahaufnahme einer Gelddruckmaschine in der Casa de la Moneda, der staatlichen Münzprägeanstalt in Buenos Aires. Die Gelddruckmaschine ist für viele Argentinier und Argentinierinnen längst zum Sinnbild der endlosen Preisanstiege geworden. Die ständige Erhöhung der Geldmenge verringert den Wert der Währung immer weiter, ohne dass das Problem wirklich gestoppt wird. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Lara, eine Gewerkschaftsvertreterin, in dem Make-up-Geschäft, in dem sie arbeitet. Vor ihr stapelt sich ihr Monatsgehalt. Wie viele Argentinierinnen bevorzugt sie es, ihr Geld in bar aufzubewahren anstatt es einer Bank anzuvertrauen. Durch die andauernde Inflation sei es üblich geworden, zweimal pro Jahr das Gehalt nachzuverhandeln – das dennoch nie ausreiche, klagt die 29-Jährige. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

»Wann immer ich einen Rabatt sehe, kaufe ich«, sagt Sara, eine von Wernings Freundinnen. »Ich habe genug Shampoo für eineinhalb Jahre. Solange es kein Verfallsdatum hat, stapel ich es einfach auf.« Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Im Jahr 2001 entsprach der Wert eines argentinischen Peso einem US-Dollar. Im Juli 2022, als dieses Foto entstand, benötigte man 335 Pesos, um einen Dollar zu erhalten. Eingerahmt wird dieser Vergleich mit alten Preisschildern. Weil das Geld so schnell an Wert verliert, müssen ständig neue Etiketten aufgeklebt werden. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Für dieses Bild ließ Werning ihren Mann die eigene Wohnung mit Geldscheinen tapezieren. Zum Zeitpunkt, als es entstand, war es billiger, die Wände mit Banknoten als mit Tapete zu tapezieren, rechnet sie vor. »Fünf Quadratmeter Vinyltapete kosten 6500 Pesos. Nimmt man Zehn-Peso-Scheine, kostet es nur noch 5100.« Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Um so viel zu verdienen, dass sie ihren Lebensstandard vom vergangenen Jahr halten kann, hat die Hundesitterin Romina zwei weitere Hunde aufgenommen. Sie führt jetzt 20 Hunde aus. »Ich kann den Preis für meine Dienstleistung nicht weiter erhöhen, weil ich sonst Kunden verliere«, sagt sie. »Ich weiß, dass das Gassigehen mit mehr Hunden meinen Rücken belasten wird, aber ich bin jung und lebe lieber in der Gegenwart, zumindest derzeit.« Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Die schrumpfenden Einkäufe sind für Werning nicht nur eine Metapher. »Die Verkleinerung der Verpackungen wird in Zeiten der Inflation häufig als Alternative zu Preiserhöhungen eingesetzt«, schreibt sie zu diesem Bild. Verbraucherschützer kritisieren die heimlichen Änderungen, weil sie im Alltag oft nicht auffallen und so bewusste Kaufentscheidungen untergraben. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

In argentinischen Restaurants zeigen sich die Folgen der Inflation besonders stark. Steigende Kosten und unsichere Löhne erschweren es den Betreiberinnen, eine solide monatliche Kalkulation aufzustellen. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Kunst, die mit Geld arbeitet, um die finanzielle Situation Argentiniens zu thematisieren, wird in dem Land immer häufiger. Dieser manipulierte Dollarschein ist das Werk des Künstlers Sergio Diaz, das Werning im Teatro Colón, dem großen Opernhaus in Buenos Aires, fotografiert hat. Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

»In Zeiten der Inflation musst du deine Konsumgewohnheiten ändern, vielleicht aufs Fahrrad umsteigen«, sagt die Fotografin. »Für mich geht es darum, die Fixkosten so niedrig wie möglich zu halten, sonst kann ich mir die zusätzlichen Ausgaben, die jeden Monat auftauchen, nicht leisten.« Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

Auch wenn ihre Bilder oft bunt und verspielt seien, hätten sie einen ernsten Anspruch, betont Werning. »Ich möchte auf die Gefahren der Inflation hinweisen. Sie vergrößert die Armut und macht die Gesellschaft ungerechter und weniger produktiv.« Foto von Irina Werning. Argentinien, 2022.

*Die Fotos wurden in Zusammenarbeit mit dem Pulitzer Center produziert.

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